Wenn Tiny Tina zum gepflegten Pen- & Paper Spieleabend aufruft, ist Chaos vorprogrammiert. Das dürfen Spieler/innen ab jetzt am eigenen Leib erfahren, wenn sie gemeinsam mit der verrückten Nebenfigur ins Abenteuer ziehen. Aber kann der Fantasy Abklatsch auch das alte Borderlands Gefühl aufleben lassen? Das klären wir mal…

Die Borderlands Spiele überzeugen seit jeher durch ihre völlig irren Spielewelten und chaotischen Figuren. Das man hier noch eine Schippe drauf legen kann, hätten wohl nur die wenigsten erwartet. Doch genauso ist es mit Tiny Tina’s Wonderlands gekommen.

Statt eine Gruppe serientypisch durch ein Space-Western-Szenario zu hetzen, führt euch das neuste Abenteuer quer durch eine an Dungeon & Dragons angelehnte Fantasywelt, in der so ziemlich alles möglich erscheint. Überall lauern unzählige Widersacher, verrückte Gestalten und magische Momente. Denn das Tabletop-Reich zeigt sich von seiner chaotischsten Seite und bringt abermals den überzogenen Humor der Borderlands- Spiele mit.

Wenn ein Skelett über den Sinn des Lebens philosophiert oder ein majestätisches Einhorn als Herrscherin des Reichs auftritt, weiß man als Spieler, das die Autoren von Gearbox wohl wieder völlig übers Ziel hinausschießen werden. Und das ist positiv gemeint.

Als Spielleiterin tritt wie schon im DLC die allseits beliebte Tiny Tina auf, die völlig auf Regeln pfeift und lieber spontan die Levels verändert.

Das hat zum Teil starke Auswirkungen auf den geschichtlichen Verlauf und die Umgebungsdetails, die euch beim Ausflug durch die Welt begegnen. Im wesentlichen ist »Tiny Tina’s Wonderlands« ein waschechtes Borderlands mit banalen Waffenideen, Sammelwahn und ordentlich Action unter dem Hintern.

Der Unterschied zum Hauptspiel sind die erweiterten Rollenspielelemente, die euch im Spielverlauf erwarten. Das fängt schon mit der Erstellung des Helden an, den ihr individuell auf eure Ansprüche hin verändern dürft.

Ein halbes Dutzend an Charakterklassen warten auf sehnsüchtige Rollenspielfans, zu denen die verrücktesten Klassenarten gehören und jeweils auf unterschiedliche Spielstile ausgelegt sind. An Distanz-, Nahkampf- und Magie geübte Spielertypen ist alles dabei, was das Rollenspielherz begehrt.

Manche Figur kann sogar einen Gefährten herbeirufen, der den Gegner selbstständig attackiert, Buffs verpasst oder das Feuer auf sich zieht. Im klassischen Charakter-Editor dürft ihr natürlich auch wieder die Körperfülle, Persönlichkeit und die Backstory des Helden einstellen. Letzteres entscheidet auch maßgeblich welche Attribute verteilt werden.

Als »Bunkers & Badasses« Spielteilnehmer dürft ihr euch im Borderlands- Spinoff natürlich auch auf zahlreiche Zaubersprüche freuen, die den Gegnern um die Ohren gepfeffert werden. Primär sind aber auch in diesen Fantasyreich die verrückten Schusswaffen wieder das A- und O der Spielewelt und lassen sich nahezu überall ergaunern.

Ich persönlich bin großer Fan der Borderlands- Spiele, da sie mir so ein wohliges leichtes Gefühl der Unterhaltung geben. Rein in die Spielewelt, ballern, looten, leveln und all die verrückten Charaktere treffen. Die Regeln sind leicht verständlich, das Gunplay angenehm ausbalanciert und die Suche nach dem nötigen Loot verkommt selten zur trägen Arbeitsleistung. Man erhält mehr oder weniger im Minutentakt neue Waffen, Gadgets oder irgendeinen Unsinn um die Ohren gehauen.

Mit jedem erledigten Gegner steigt das Level und neue Fertigkeispunkte lassen sich freischalten.

Alles wichtige wird quasi im Vorbeigehen erledigt. Auf die Story kann man pfeifen wenn man möchte oder man gibt sich den absurden Storytelling völlig hin und schmunzelt über all die blöden Gags.

Die Spielformel von Borderlands zieht einfach in seinen Bann und wirkt mit Tiny Tina’s Rollenspielansatz auch endlich mal wieder frisch. Die Rollenspielader ist zwar nicht ganz so ausgeprägt wie in klassischen Rollenspielen, ist aber für einen Loot-Shooter ausreichend. Gegenüber der Hauptreihe gibt es eine fragwürdige Neuerung: Die Oberwelt! Zwischen den einzelnen Kapiteln bzw. Abschnitten lässt euch das Spiel nämlich über eine kompakte Spielwelt laufen, wie es in früheren SNES- Rollenspielen der Fall war.

In der gewohnten Iso-Perspektive klassischer Rollenspiele bewegt ihr euch über das Feld, das einem Brettspiel ähnelt und verübt dort kleine Aufgaben. Von hier aus reist ihr in unterschiedliche Dungeons und Gebiete des Spiels, um dort die Story voranzutreiben und neues Equipment zu sammeln.

Ebenfalls neu sind in dem Sinne die klassischen Zufallskämpfe wie man sie aus früheren Final Fantasys kennt. Um diesen zu entkommen müsst ihr einen Level überstehen, in dem aus allen Ecken Feinde auf euch zustürmen. Erst nach erfolgreichen Abschluss landet ihr wieder auf dem Spielbrett und könnt euch fortbewegen. Da es sich hierbei um »Bunkers & Badasses« Spielbrett von Tiny Tina handelt, kann es schon mal vorkommen, das sich die Parameter plötzlich ändern, weil ein Erdnussflips im Weg liegt. Das sorgt meist für kurze Einspieler von Tiny Tina, die sich irgendwelche banalen Gründe ausdenkt warum der Gegenstand gerade jetzt euren Weg erschwert.

Auf die Dauer ist der Umweg über die Übersichtskarte etwas nervig und zerrt gewaltig aus dem ansonsten so fantastischen Flow, den Borderlands als Loot-Shooter normalerweise erschafft. Wirklich originell oder spielerisch wertvoll wird das Abenteuer dadurch leider nicht. Es frustet vielmehr. Die Rollenspiel- Oberwelt hätte man sich also lieber sparen sollen.

Nichtsdestotrotz ist der restliche Aspekt des Spiels wieder Borderlands- typischen einmalig. Während es scheinbar im Trend liegt jedes Spiel mit übermäßigen Loot- zu füllen und es dabei zu übertreiben, wissen Gearboxs scheinbar genau wie weit sie die Formel ausreizen können.

In »Tiny Tina’s Wonderlands« habe ich tatsächlich niemals das Gefühl gehabt, dass die Jagd nach Sammelbarem zur Fleißarbeit wird. Stattdessen verbringt man ein paar vergnügliche Runden auf dem Schlachtfeld und ballert sich mit originellen und fantasievollen Knarren- und Stichwaffen durch die Spielewelt. Im Kontext der Geschichte sind die Waffenarten auch ziemlich passend gewählt und im Zusammenwirken mit der Magie auch erfrischend neu.

Na klar, auch in Tiny Tina’s Wonderland sind die Waffen und Items mit etlichen Parametern versehen, die man im Menü minutenlang vergleichen kann, wenn man denn den Nerv dazu aufbringt.Denn das Navigieren durchs Menü fühlt sich unglaublich träge an. Egal ob mit Maus/Tastatur oder Controller. Die Eingaben sind verzögert, unübersichtlich und fast schon altertümlich.

Viele Rollenspiele der letzten 20 Jahren fühlen sich in der Hinsicht moderner an, als das, was Gearbox hier als Lösung abliefert. Da macht es tatsächlich überhaupt keinen Spaß die Waffenattribute zu vergleichen und die beste Ausrüstung zu wählen. Man nimmt lieber direkt die neuste Waffe in die Hand und hofft auf starke Argumente für das Gadget. Wer aber wie ich sowieso keine Lust auf lange Texte und Tabellen hat, wird sich über die leichte Handhabung von »Tiny Tina’s Wonderlands« freuen. Denn hier gilt meistens doch eher das Motto »Dicke Knarre = Geil!«.

Was ich damit sagen will: Tiny Tina’s Wonderland klingt weniger nach Loot-&Level Arbeit, sondern bringt direkt im Vorbeigehen irre viele unkonventionelle Waffenarten, extravagante Level-Ideen und amüsante Dialoge ein, um so den Unterhaltungswert auch mal ohne lange Attributvergleiche zu erhöhen.

Die Lockerheit, mit der Tiny Tina euch durch die weitreichenden Welten geleitet prägt den gesamten Levelaufbau. Die Umgebungen, Aufgaben, Feinde und Parameter der Welt verändern sich je nach Tina’s Einbildung.

Wenn ihr in der Oberwelt also mal einem Fremden eure Hilfe anbietet, kann es durchaus sein, dass der Kerl nach Absolvierung der Aufgabe gar nicht mehr auffindbar ist. Das Ergebnis sind dann total blödsinnige Dialoge, da auch Tina selbst keine wirkliche Erklärung dafür parat hat.

Ein kleines Manko am Fantasytrip sind eure Gefährten, die leider nicht die hellsten Birnen im Reich des Einhorn’s “Arschgaul” sind (Ja, so heißt die Königin wirklich!). Die Heldenbegleiter trüben den Gesamteindruck durch total unsinnige Entscheidungen. Dafür fühlen sich die Kämpfe selbst aber enorm elegant an. Tempo, Feedback, Waffen-Handling, Magie-Fähigkeiten. Alle Elemente harmonieren und funktionieren außerordentlich gut. Nur ab und zu verliert man durch die zahlreiche Effekte und Feinde ein wenig die Übersicht auf dem Schlachtfeld. Auch die Inszenierung hat mir durchaus gut gefallen. Überall wird man regelrecht bombardiert mit mittelalterlichen Bauten, gängigen Fantasy- Gegnern, düsteren Arealen und dann wieder bunten Levelarchitekturen.

Das Pen-&-Paper Reich erstrahlt in einem harmonischen Mix aus Sci-Fi & Fantasy, ohne die tristen Wüstenwelten früherer Spiele der Reihe zu kopieren. Alles wirkt farbenfroher, einladender und auch grafisch verbessert.

»Tiny Tina’s Wonderlands« zeichnet sich durch einen weitaus farbenfreudigeren und belebten Cel-Shading Stil aus, der wieder mit starken Kontrasten und überladenen Effekten ein individuelles Bild ergibt.

Die visuelle Umsetzung des Spiels ist wieder erstklassig gelungen und überzeugt mit verspielten Figurendesigns und interessanten Kulissen. Der surreale Look früherer Spiele ist allerdings einem etwas moderneren Fantasyabklatsch gewichen. Ob das schlecht ist? Mitnichten! Denn die grau-braunen Welten vermisst man als Spieler wirklich nur selten. Das Fantasyreich lädt zum Erkunden ein und macht optisch mehr her als seine Vorgänger. Technisch beweist Gearbox zwar nicht immer das beste Händchen für ihr Videospiel, da es auch Abschnitte mit Rucklern und einigen Pop-Ins gibt, aber die meiste Zeit wird das Fantasyszenario schon echt schick in Szene gesetzt und überzeugt mit vielen witzigen Details.

Getestet habe ich das Spinoff auf einer Hardware mit einer Nvidia RTX 3080, bei der ich alle Vorgaben auf Ultra und UHD Auflösung geschaltet habe. Die Bildrate blieb bei flüssigen 60FPS+ und die Grafik überzeugte mit netten Details.

Nur in einem Gebiet schien die GPU mit der Effektpalette nicht zurechtzukommen. Dort schwang das Spiel die Bildraten grundlos in die Knie.

Die Entwicklerschmiede hat also doch schon sehr hohe PC Anforderungen, wenn es um gute Performance geht. Der Ableger ist also kein Technikwunder mit Bombastgrafik, aber ein Fantasy-Trip mit einmaligen Look und interessanten Weltendesign.

Dazu überzeugt das Spiel auch mit der deutschsprachigen Synchronisation. Obwohl ich in diesem Fall die fantastische Originalversion mit der grandiosen Ashly Burch als Tiny Tina leicht bevorzuge, ist die Deutsche Umsetzung trotzdem wirklich empfehlenswert.

In der Hauptrolle von Tina erlebt ihr hier übrigens Sabine Bohlmann, die langjährige Anime Fans sicherlich noch als Bunny Tsukino in Sailor Moon oder Lisa Simpson kennen. Es ist also ein wirkliche gute Wahl für die Hauptfigur getroffen wurde. Darum war es für mich auch ziemlich schwer sich gegen die Anime Nostalgie zu entscheiden.

Denn letztlich bringt auch Frau Bohlmann die überzogene und chaotische Art der Figur einfach perfekt rüber. Das ist ohnehin eine Besonderheit bei 2K Games. Ihre Lokalisation sind qualitativ nie schlechter als das Original. Danke dafür!

FAZIT:
Mit »Tiny Tina’s Wonderlands« erfindet Gearbox das langsam etwas angestaubte Borderlands Spielsystem in gewissen Züge noch einmal neu und bringt damit frischen Wind in die alte Loot- Jagd. Statt Wüstenlandschaften und Sci-Fi Western Storys ist nun wahnwitzige Fantasy angesagt. Das wirk stimmungsvoll und lässt den Autoren noch mehr Freiraum für völlig bescheuerte Gags. Das dazu gedichtete Rollenspielsystem fügt sich zudem nahtlos in die Shooter Action ein. Machen wir es darum kurz und knapp: Das Spiel hat mich zwar nicht vollends in allen Belangen überzeugen können, ist aber ein amüsantes Action Adventure, bei dem ich mich durch viele lustige Ideen grandios unterhalten fühle!

Bildmaterial: ©2021 Gearbox | 2K Games

Vielen herzlichen Dank an 2K Games und Gaertner PR für die freundliche Bereitstellung des Download Codes von
Tiny Tina’s Wonderland für den Windows PC:)