Die Slasher- Vergangenheit ist abgeharkt. Zeit für eine klassische Ghost-Story! Mit Men of Medan will Supermassive Games hier erneut überzeugen. Ist das Entwicklerteam aber fähig ein vergleichbares Ergebnis abzuliefern? Als großer Horror-Fan will ich das für euch mal im Test klären…
Die Dark Pictures: Anthology!
Der Name “Supermassive Games” dürfte inzwischen so ziemlich jeden Spieler ein Begriff sein! Schließlich sorgten sie auf der Playstation 4 mit Until Dawn für einen Überraschungshit auf Sony’s damals frischer Hardware. Das brillante Adventure zeigte nämlich auf clevere Art wie ein Slasher- Movie auch als Videospiel funktionieren kann.
Mit der Dark Pictures: Anthology will der Entwickler – ohne Sony als Geldgeber – an diese Erfolge anknüpfen und bringt Episodenhaft einzelne Adventures auf den Markt, die in sich geschlossen ein Horror- Universum ergeben sollen. Das Erstlingswerk dieser Anthology- Serie hört auf den Namen Men of Medan und kann als geistiger Nachfolger des Teenager- Horrors angesehen werden. Das schon mal vorab, dürften Fans wissen auf was sie sich einzustellen haben. Das Spiel setzt auf Jump-Scares, Entscheidungsfreiheit und bekannte Schauspieler. Waren es in Until Dawn noch Hayden Panettiere (Nashville) und Rami Malek (Mr.Robot), die als Helden durchs Abenteuer gesteuert werden sollten, sind es nun Shawn Ashmore (Quantum Break) & Co. die mit ihrer Performance überzeugen wollen. Die schauspielerischen Qualitäten sind hier – im Kontext eines Horrorfilms – auch meistens ganz ordentlich. Dass aber wohl niemand für das Spiel einen Award verliehen bekommt, sollte Spielern schon nach den ersten Trailern bewusst gewesen sein.
Um euch die facettenreiche Geistergeschichte nicht zu spoilern, sei nur kurz der Background erläutert. Wie in Horrorfilmen gewohnt, macht sich hier eine Gruppe von fünf Leuten auf, um einen kleinen Segeltrip auf hoher See zu erleben. Der Grund für diesen Ausflug ist die Suche nach einem versunkenen Schiffswrack aus dem zweiten Weltkrieg. Als dann plötzlich des Nachts ein Sturm aufzieht und ungebetene Gäste auftauchen, verwandelt sich der kurzweilige Trip in einen Albtraum. Mit der fünfköpfigen Gruppe, von denen jeder vom Spieler abwechselnd gesteuert wird, gilt es schließlich auf einem Geisterschiff vor dem Unheil zu flüchten.
Eine Seefahrt, die ist lustig Gruselig!
Men of Medan will uns also, wie schon Until Dawn zuvor, in ein spannendes Horror- Adventure entführen, bei dem die Interaktivität jedoch auf ein Minimum beschränkt wurde. In der Pilot- Episode der Dark Picture Anthology dürft ihr euch somit wieder auf gepflegten Grusel einstellen, der spielerisch simplifiziert erscheint. Denn ebenso wie in Until Dawn müsst ihr für das Überleben der Clique sorgen und die Geheimnisse des Schiffes aufdecken. Ihr trefft also wendungsreiche Entscheidungen, die sich auf die Beziehungen der Figuren auswirken und/oder den Spielverlauf verändern. Welche Auswirkungen eine Entscheidung oder Schlüsselszene hat, kann nur erahnt werden und ist wohlmöglich erst viel später ersichtlich.
Mitten auf dem Ozean ist so eine Rettungsmission natürlich keine leichte Angelegenheit. Erst recht nicht, wenn das Spiel euch wieder mit den Stereotypen der Weltmeere überfällt. Da hätten wir den nerdigen Brillenträger, seinen sportlichen Bruder, die knallharte Braut und den obercoolen Zyniker, der sich nicht nur als Komödiant, sondern auch als Charmeur versucht. Die Auswahl der Figuren sollte also breitgefächert genug sein, um eine charakterliche Entwicklung zu gewährleisten. Naja, theoretisch. Denn schließlich sprechen wir hier von einem Horrorfilm. Und was bieten Horrorfilme auf gar keinen Fall? Exakt. Tiefsinnige Persönlichkeiten oder Charakter-Development.
Also dürft ihr diesen Unsinn schon mal aus eurem Wunschvorstellungen entfernen. Man of Medan folgt nämlich dem simplen Muster, wie sie so ziemlich jeder Horrorfilm seit Erschaffung des Genre nutzt. Ihr werdet zwar zwangsläufig mit einigen Figuren sympathisieren, doch im Kern gliedert sich die Clique ins altbekannte und unverkennbare Horrorbild ein. Denn auch geschichtlich macht die Anthology- Serie mit seiner klassischen Ghost-Story keinen Hehl daraus, sich an bewährten Elementen zu bedienen. Vom Jump-Scare bis zum subtilen Grusel ist die volle Palette an Bord. Und das gelingt dem Entwicklerteam auch ziemlich ordentlich. Zeigt sich der Titel im Laufe des Spiels doch mit gut inszeniertes Horrorszenen und Effekten. Da verkraftet man als Zuschauer/Spieler auch mal die teils ziemlich plumpen Dialoge. Fremdscham vorprogrammiert? Jawoll!
Wir lieben Filme! Und Spiele!
Genau wie in Until Dawn, Detroit: Become Human oder Telltale’s The Walking Dead beschreitet ihr verschiedene Wege und übernehmt abwechselnd die Rolle der einzelnen Figuren. Dabei sucht ihr nach Hinweisen, interagiert mit der Umgebung oder untersucht Objekte. Ebenso wie im geistigen Vorgänger ist das Gameplay also sehr limitiert, was auch mit den fixen Kamerawinkeln zu tun hat. Diese sorgen allerdings für einen ordentlichen Film-Charakter und zeigen wie man eine gruslige Atmosphäre allein durch die Kameraarbeit erzeugen kann.
Wer sich also je an einem Interactive Movie versucht hat, der wird sich mit Leichtigkeit ins Spiel einfinden. Ein, aus Until Dawn, entnommenes Element sind auch wieder die Vorhersagen, die einen Anhaltspunkt dafür liefern, wie eine knifflige Lage umgangen werden kann. Die Totems aus Until Dawn werden in Men of Medan durch Gemälde, Fotos oder Zeichnungen ersetzt. Ebenso findet sich auch die Meta- Ebene im Spiel ein, bei der ihr indirekt angesprochen werdet und Szenen aus der Ego-Perspektive verfolgt. War es in Until Dawn noch der Psychiater, der das Bindeglied der Geschichte war, so ist es hier ein klassischer Erzähler.
Dieselbe Spannung, wie die interaktiven Sitzungen beim Psycho-Doc in Until Dawn, erzeugt der Erzähler nicht, es bleibt aber ein interessantes Konzept. Wieder an Bord (Hehe, subtiler Gag) sind natürlich auch die Quick-Time Events, die hier ihren Namen alle Ehre machen. In Sekundenbruchteilen gilt es eine Entscheidung zu fällen oder eine Taste zu betätigen, um eure Figur vor dem Ende zu bewahren. Das klingt jedoch leichter, als Getan. Sorgen doch zahlreiche Nachlade- Ruckler und der geringe Zeitraum für ärgerliche Momente. Dazu kommt, dass Men of Medan im Gegensatz zu Until Dawn ziemlich langsam in Fahrt kommt und sehr viele Atempausen bereithält.
Nach einem spannenden Intro, folgt ein ziemlich unspektakuläres Kapitel, in dem ihr eigentlich nur die reichen Schnösel kennenlernt, die ihr fortan beschützen sollt. Vielleicht hätte man hier aus Autoren- und Entwicklersicht doch ein wenig mehr Erzähltempo aufbauen sollen. Schließlich ist ein Videospiel ein interaktives Medium, kein kurzweiliger Kinofilm. Es ist also weitaus schwieriger die Motivationskurve aufrecht zu erhalten. Das gelingt Supermassive Games leider nicht unbedingt. Ist man allerdings erst einmal über die Hürde gesprungen und landet tiefer in der Geschichte, eröffnet sich eine durchaus coole Ghost-Story. Denn an Bord des Schiffs geht ordentlich die Monsterparty ab.
Ein spielerischer Nachteil der System übergreifenden Entwicklung zeigt sich übrigens in Situationen, wo es gilt Ruhe zu bewahren. Vielleicht kann sich noch jemand an Until Dawn entsinnen, wo die Motion- Sensoren des PS4 Controllers genutzt wurden, um Charaktere stillstehen zu lassen. Hier war es nötig keine allzu ruckartigen Bewegungen vorzunehmen und den Controller selbst möglich ruhig zu halten. Eben dieses Spielelement wird auch in Men of Medan aufgegriffen. Nur mit dem entscheidenen Unterschied, dass ihr hier im Takt der Atmung Knöpfe drücken müsst.
Das ist weniger ansprechend und auch teilweise ziemlich ermüdend. Die spielerischen Mechaniken halten sich ja ohnehin ziemlich Grenzen. Dafür hält Men of Medan eine überraschende Neuerung parat, die Until Dawn nicht bot! Ihr dürft das Spiel nämlich wahlweise mit Freunden erleben und sowohl Online, als auch im Couch- Koop die Geheimnisse aufdecken. Habt ihr also mal Lust auf einen interaktiven Filmabend, dann reicht den Controller doch bei Figurenwechsel einfach weiter. Für manche Fans sicherlich ein spielerischer Mehrwert.
Zeit für cineastische Jump-Scares!
Kommen wir zum Elefant im Raum. Der Technik! Die Entwickler haben leider nicht gänzlich so saubere Arbeit abgeliefert, wie noch in Until Dawn. Zeitweise tauchen Nachlade- Ruckler auf, die nicht nur den Filmfluss stören, sondern auch spielerisch Nachteile bringen (Stichwort: QTE). Dazu kommen unscharfe Texturen, die teilweise sogar erst nachgeladen werden müssen. Was zeitweise auch stören kann, ist die steife Bewegung der Figuren und die hakelige Steuerung beim Auswählen von Antworten. Darüberhinaus leidet der Titel auch an einigen A-Synchronen Lippenbewegungen, komischen Schnitten und öfters mal hölzerner Mimik.
Die Entwickler hatten also offensichtlich nicht so viel Zeit/Geld für die Optimierung ihres Spiels, wie noch bei Until Dawn. Insofern fällt die technische Seite, trotz leichter Verbesserungen bei Charaktermodellen und Licht/Schatteneffekten, etwas weniger gut aus. Was aber die cineastische Ader angeht, so überzeugt Supermassive Games wieder mal mit herausragender Inszenierung. Die Beleuchtungs- Engine sorgt für eine schöne und bedrückende Atmosphäre und die Kameraperspektiven sind filmisch eingebunden. Hier fühlt man sich auch leicht an Romero’s oder Hitchcock’s Kameraarbeit erinnert, was durchaus als Lob zu verstehen ist. Sicherlich dürften manche Spieler mit den fixen Kamerawinkeln ihre Probleme haben (Resident Evil lässt grüßen), doch dem Film-Charakter kommt das außerordentlich gut entgegen.
Die Bildgestaltung ist genauso wie in Until Dawn eine Stärke des Videospiels. Schön ist übrigens auch, dass Bandai Namco an eine Deutsche Synchronisation gedacht hat. Der Horror-Titel ist nämlich komplett lokalisiert und bietet bekannte Synchronsprecher, die einen ordentlichen Job abliefern. Zwar sind die Dialoge teilweise etwas holprig, da die Dialogregie offenbar nicht immer den idealen Ton getroffen hat, doch sind die Synchronrollen selbst hervorragend besetzt. Das wiederum sorgt für eine klassische Horrorfilm- Atmosphäre. Es dürfte euch also inzwischen aufgefallen sein, dass Until Dawn nicht nur Pate für Men of Medan stand, sondern sich das komplette Korsett überstreift. Hattet ihr also für den Teenie- Horror wenig übrig, wird euch auch dieses Adventure keinen Spaß entlocken. Fans von interaktiven Filmen können das Spiel aber ruhig mal ausprobieren. Für den Low-Budget Preis von 30€ hat Bandai Namco hier nämlich ein solides Ding im Angebot.
Vielen herzliche Dank an Bandai Namco für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplares von Men of Medan für die Xbox One:)
Bildmaterial: ©2019 Supermassive Games Limited. “The Dark Pictures” “Man of Medan” and “Supermassive Games” ©2018 Bandai Namco Entertainment Inc.