Zurück nach Arcadia Bay!
Als Entwickler Dontnod vor zwei Jahren mit Life is Strange um die Ecke kam, hatte wohl niemand den kleinen Titel auf dem Schirm. Doch binnen kürzester Zeit mauserte sich das spielbare Teenager Drama zum Überraschungserfolg und band eine kleine Community um sich. Life is Strange hatte einen Nerv bei vielen Gamern getroffen und so war es für Publisher Square Enix sicherlich eine leichte Entscheidung gewesen die neue Cashcow noch einmal zu melken.
Mit Before the Storm erschien nun deshalb am 31. August auch die offizielle Vorgeschichte zum Liebhaber-Spiel. In der Hauptrolle dieses Mal Chloe, die bisher nur den Sidekick mimen durfte und nun von euch durch Arcadia Bay geleitet wird. Mit ihr erlebt ihr ein ungewöhnliches Abenteuer, das weniger wie ein Videospiel wirkt, sondern vielmehr wie eine authentische Lebensgeschichte eines Teenagers. Mit Chloe ändert sich hierbei nicht nur die Sichtweise, sondern auch das Gameplay. Statt auf Time-Travel Zauberei und übernatürliche Szenen zu setzen, baut Before the Storm vollends auf Authentizität und integriert dabei Gameplay Elemente, die im Kontext der Geschichte perfekt funktionieren.
Anders, als noch Max, besitzt Chloe deshalb keinerlei besondere Fähigkeiten, sondern setzt komplett auf ihr vorlautes Mundwerk. Dies wird von den Entwicklern ziemlich intelligent ins Spielgeschehen eingebunden, da ihr nun eine Art verbales Battle mit eurem Gegenüber führt. Hierbei achtet ihr auf das Gesagte und versucht auf Chloe typische Art und Weise die Situation mit Argumenten und kleinen Beleidigungen zu klären. Seid ihr schlagfertig genug, könnt ihr euch einen Vorteil verschaffen und der Geschichte eine kare Richtung vorgeben.
Glaubhaftigkeit vor Allem!
Da Chloe und Max auch ziemlich verschieden in ihrem Handeln und Denken sind, werdet ihr fortan auch keine Kamera mehr hervorkramen, um besondere Momente festzuhalten, sondern zückt kurzerhand eure Spraydose für ein wenig Graffiti Malerei.
Interessant finde ich auch wie es die Entwickler gelöst haben Questziele und Marker in die Geschichte einzubinden. Während es in anderen Videospielen ein ziemlicher Einschnitt in die Authenizität der Welt darstellt, wenn ihr kurz mal euer nächstes Ziel anzeigen lasst und mitten in der Welt ein Pfeil auftaucht, ist dies bei Life is Strange: Before the Storm sehr intelligent gelöst. Statt heller leuchtender Pfeile oder aufploppender Ziele, könnt ihr euch per Druck auf die L2/LT Taste das Gekritzel auf Chloe’s Unterarm anzeigen lassen, das euch einen Hinweis auf das nächste Ziel liefert. An diesem Punkt wirklich mal ein Lob an ein Entwickler-Team, das sich offenbar viele Gedanken gemacht hat, wie man die Illusion einer realistischen Geschichte wahren kann.
Zwischen diesen kleinen Neuerungen, bewegt sich Before the Storm aber auf den alten Life is Strange Pfaden und bietet einen interaktiven Film, der mehr Wert auf die Erzählung legt, denn auf große Gameplay Momente. Wie schon im Vorgänger oder auch in den Telltale Spielen beschränkt sich das Spielbare aufs Minimum und fokussiert mehr auf ein Dialog- lastiges System, bei dem euch oft Multiple Choice Antworten gegeben werden. Zählt man diese Elemente zusammen, fühlt sich Before the Storm also trotz des Charakterwechsels sehr vertraut an und ist spielerisch sicherlich eher mau. Letztlich ist das aber vollkommen egal, denn Life is Strange ist ein Spiel, das durch seine emotionale Erzählung und die tollen Charaktere lebt.
Spielerisches Coming of Age Drama!
Der rebellischen Chloe werden wohl sofort die Sympathien zufliegen, wenn man sich denn emotional auf den Teenager einlässt. Als Problemkind gebrandmarkt, ist sie auf Streit gepohlt, hasst ihre Mitschüler, nimmt Drogen und trägt quasi ein riesiges “Fick Dich” Schild auf der Stirn.
Auf den ersten Blick sicherlich nicht unbedingt das, was man als Sympathieträger bezeichnen würde. Doch hinter dem aggressiven Teenager steckt soviel mehr Tiefe, als in vielen anderen Videospiel-, Anime- oder auch Film-Charakteren. Im Zusammenspiel mit Rachel Amber, dem neuen Life is Strange Sidekick, fühlt man sich gut in die Gefühlswelt des Teenagers versetzt. Rachel ist hierbei auch das komplette Gegenteil von Chloe und sowas wie die “Queen” der Arcadia Bay Mittelschule. Jeder liebt sie und sie kann alles. Doch auch in ihr brodelt es gewaltig und so kommen sich die ungleichen Persönlichkeiten näher, als erwartet.
Life is Strange: Before the Storm definitiert sich also mehr über die enge Freundschaft, die sich so langsam entwickelt und baut darum eine glaubhafte Coming of Age Geschichte auf, die schon in Episode 1 sehr viel auf Beziehungs- Drama setzt. Dafür verzichtet Before the Storm auch auf die übernatürlichen Elemente des Vorgängers und konstruiert eine weniger Wendungsreiche Geschichte. Man darf sich also nicht auf plötzliche Wendungen oder nervenaufreibende Cliffhanger gefasst machen. Hier fehlt es dem Videospiel leider am nötigen Spannungsaufbau und dem gewissen “It”- Momente zum Episodenende hin. Trotzdem konnte mich Before the Storm durchweg bei Laune halten und ich war wieder einmal begeistert von der lebensnahen Darstellung der Charaktere.
Das kommt aber auch der Synchronisation zu Gute, bei der wirklich jeder Dialog “On-Point” geliefert wird. Mal abgesehen davon, dass die Dialoge ohnehin eine Klasse für sich sind und sich immer wie Unterhaltungen zweier real existierender Personen anhören. Kein Gespräch ist überflüssig oder wirkt zu langatmig in die Länge gezogen. Alles wohl dosiert und perfekt transportiert. Jede Geste, jede Gesichtsregung und jedes aufmüpfiges Wiederwort von Chloe charakterisiert sie mehr, als so mancher ellenlanger Monolog eines anderen Videospiel-Charakters. Inwieweit sich getätigte Entscheidungen aber noch auf Spiel auswirken, muss sich zeigen. Bisher hatte ich nicht das Gefühl hier viel Konsequenzen für Chloe’s Verhalten zu schaffen. Ob ich nun Geld klaue oder nicht, scheint bisher keine Probleme mit sich zu ziehen. Seid ihr aber an authentischen Geschichten interessiert und wollt lieber einen Filme-Abend genießen, als ein herausforderndes Videospiel zu erleben, dann ist Before the Storm genau das, was ihr sucht.
Die Tragweite von Musik
Life is Strange bot für eine Indie- Produktion eine bemerkenswerte Synchronleistung. Ob Before the Storm da mithalten kann, ist natürlich fraglich gewesen. Im Vorfeld kam auch schon vereinzelt Kritik daran auf, dass Fans mit einer neuen Synchronisation Vorlieb nehmen müssen. Hier kann ich aber jedem Life is Strange Anhänger beruhigen.
Die Sound- Abteilung hat gute Arbeit geleistet, um Chloe neu zu besetzen und ihr eine stimmlich ähnliche Sprecherin auf den Leib zu schreiben. Im Vergleich zum Original sind daher auch gar nicht so gravierende Unterschiede herauszuhören. Unsere Protagonistin klingt zwar etwas jünger, aber genauso aufsässig, wie eh und je. Und im Kontext zur Geschichte passt es sogar, dass ihre Stimme jünger anmutet. Auch auf grafischer Seite weis das Spiel deutlich mehr zu überzeugen, als noch der Vorgänger. Technisch hat sich nämlich vor allem bei den Charaktermodellen und der Auflösung etwas getan. Das Spiel wirkt schärfer, als man Life is Strange in Erinnerung hatte und auch die Modelle sind von den Lippenbewegungen und Animationen verfeinert wurden.
Natürlich ist man noch weit entfernt von Triple A Titeln wie Uncharted, doch für ein kleines Studio ist das hier schon sehr schick anzusehen. Hier gilt auch, dass der Artstyle und die stilsichere Inszenierung vielmehr Wert haben, als eine Bombast- Grafik ohne eigene Akzente. Zudem sind die Kulissen vollgespickt mit kleine Details. So lässt sich in Chloe’s Zimmer auch genau die CD finden, die in der Life is Strange Limited Edition als Bonus mitgeliefert wurden. Auch etliche Poster, Zeichnungen und Flyer sind liebevoll ausgearbeitet.
Ein besonderes Merkmal von Life is Strange war damals auch der großartige Soundtrack, der sich aus rockigen Indie- Klängen und kurzen Punk- Passagen zusammensetzte. Und auch Before the Storm weis in dieser Hinsicht zu gefallen. Bisher sind die Songs zwar noch nicht auf dem emotional eingängigen Niveau des Vorgängers, doch passen die Lieder immer perfekt zur gewählten Szene und sind schön anzuhören. Die Gefühle der Charaktere, speziell von Chloe, werden so gut transportiert. Man merkt in Life is Strange wie viel Tragweite ein guter Soundtrack haben kann. Mit der richtigen Melodie unterlegt, kann jede emotionale Szene die richtigen Gefühle wecken.
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