Mit »FIFA International Soccer« startete 1993 auf dem Sega Mega Drive eines der erfolgreichsten Franchise der Videospiel-Branche. Es fühlt sich darum schon fast wie das Ende einer glorreichen Ära an, wenn EA Sports zum letzten Mal ein FIFA-Spiel in die Regale stellt. Doch genau das ist derzeit der Fall. Nach monatelangen Lizenz-Streitigkeiten ist Schicht im Schacht. Entwickler Electronic Arts und Fußball Großkonzern FIFA beenden ihre seit 1994 bestehende Zusammenarbeit. Bevor es aber soweit ist und wir mit EA Sports Football in die nächste Generation ziehen, soll FIFA 23 noch einmal ein fulminanter Abschluss der beliebten Sportserie werden.
Das neueste FIFA- Update kommt natürlich wieder mit zahlreichen Lizenzen, die so ziemlich jede wichtige Fußball Liga der Welt umfassen. Zum Abschluss positioniert man überdies auch den Frauen Fußball etwas stärker und erweitert das Lizenzaufgebot um die Englische Barclays WSL und die französischen D1 Arkema.

Ab Frühjahr 2023 sollen zusätzlich noch die K.O.-Runde der UWCL, sprich der Frauen Champions- League, sowie später im Jahr ebenfalls die Frauen Weltmeisterschaft hinzugefügt werden.
Da sich der Frauenfußball durch die diesjährige Europameisterschaft einen starken Namen gemacht hat, gebe ich ihnen also im Test mal den Vorrang. Spielerisch hat sich hier deutlich was getan.
Die Frauen Teams unterscheiden sich in ihren Spielerwerten nicht nur auf dem Papier, sondern fühlen sich tatsächlich auch unterschiedlich an. Das liegt sicherlich auch an den verbesserten Bewegungen der weiblichen Profis, die sich durch das neue »Hypermotion« System und dessen Mo-Cap Aufnahmen ergeben.
Im Direktvergleich mit den männlichen Teams fühlen sich die Frauen Matches spielerisch leicht “Arcadiger” an. Torschüsse, Bewegungsabläufe und Jubelposen wurden ebenso überholt. Einen Dämpfer müssen jedoch Fans des Deutschen Frauenfußballs hinnehmen. Die Bundesliga ist nicht vertreten.
Zudem scheinen auch nicht alle weiblichen Spielerin einen Gesichtsscan erhalten zu haben, was die ganze Sache etwas halbgar wirken lässt. Man darf aber sicherlich hoffen, dass mit Einzug des Champions League Modus zumindest aus deutscher Sicht noch vereinzelte Teams wie FC Bayern und VLF Wolfsburg hinzugefügt werden.

Das Lizenzpaket des Frauen Fußballs hält sich also (noch) weitgehend in Grenzen, wenn man es in Kontrast zum männlichen Part setzt. Vielleicht schafft die nächstjährige Weltmeisterschaft ja Abhilfe und EA Sports denkt über ein größeres Lizenzpaket nach. Bislang ist der virtuelle Frauen Fußball zwar im Gespräch, aber überzeugt noch nicht auf dem Platz.
Der Männer- Fußball ist natürlich weiterhin das Aushängeschild des Videospiels und bringt dementsprechend die meisten Modi und Neuerungen mit sich. Das fängt schon beim überarbeiteten Ultimate Team Modus an, den ich euch mal vorstellen möchte.
Dieses Jahr hat FUT ein paar neue Inhalte spendiert bekommen, die für Langzeitmotivation sorgen sollen. Dazu gehört z.B. der FUT Moments Modus, der euch in kleine Challenges schickt mit denen ihr Punkte für Rewards verdienen könnt. Zu den Challenges gehören spezielle Schlüsselmomente von Spielern oder Trainern.
Zum Launch des Spiel war so z.B. die Jürgen Klopp Challenge verfügbar, die euch dazu bringt verschiedene Schlüsselszenen seiner Trainierkarriere von Mainz über Dortmund bis hin zu Liverpool nachzuerleben. Leider versäumt man es hier die Szenen auch entsprechend der Realität umzusetzen.

Statt mit dem kleinen Mainzer Team tretet ihr wie gewohnt mit eurem klassischen FUT Team an, was je nach Stärke eures Vereins die Situation sehr unterschiedlich erscheinen lässt. Zumal sich die Aufgaben dadurch kaum von den typischen Challenges in den Freundschaftsspielen unterscheiden.
Zu Zeiten der Weltmeisterschaft 2006 hatte sich EA Sports schon einmal einen ähnlichen Spielmodus einfallen lassen, bei dem ebenfalls verschiedene Schlüsselmomente aus realen Fußballspielen erlebt werden konnten. Hier ließen sich allerdings auch die jeweiligen Teams spielen, was atmosphärisch eine gänzlich andere Wucht hatte. Natürlich will EA Sports mit dem FIFA Ultimate Team möglichst viele Packs verkaufen, doch hätte man beim FUT Moments durchaus mehr Freiheiten erlauben können. Als Ergänzung trotzdem eine nette Zusatzoption für FUT-Spieler, die sich vom Online Spiel fern halten wollen.
Die größte Neuerung in FUT zeigt sich allerdings beim Chemie-System, das eine völlige Überholung erfahren hat. Statt klassischer Spieler-Links, bei denen Spieler aus derselben Nation / Liga direkt per Position verbunden werden müssen, wird die individuelle Chemie berechnet.

Eure Profis können darum nun bis zu 3 Chemiepunkte erhalten, wenn andere Profis in der Startelf zur selben Nationalität/Region oder Liga/Verein gehören. Dazu ist es egal, ob ein Flügelspieler mit demselben Vereinsstürmer verbunden wird oder der Torwart mit dem Rechtsaußen dieselben Attribute teilt.
Zuvor ließen sich nur Spielertypen für Chemie verbinden, die im Feld zusammenstehen, sprich Defensiver Mittelfeldspieler mit Zentraler Offensive, Linker Innenverteidiger + Rechter Innenverteidiger + Torwart etc. Jetzt genießt man in der Hinsicht also etwas mehr Freiheiten und kann beispielsweise einen Kingsley Coman (LF) mit dem Vereinskollegen Benjamin Pavard (RV) verbinden. Die Chemiepunkte verlaufen damit querfeldein.
Allerdings hat sich EA Sports dafür dazu entschlossen Positionsänderungen auf’s Minimale zu beschränken, womit ZM keine Chemiepunkte mehr auf der ZDM Position (früher 9-10 Chemiepunkte) erhalten.
Ebenso erhalten Außenverteidiger keine Chemiepunkte mehr, sofern sie im Innenraum eingesetzt werden (früher mindestens 7-Chemie Punkte). Noch schwieriger wird die Sachlage auch in Bezug der Null Chemie eines einzelnen Spielers.

Sollte euer Profi zwar die richtigen Team-Werte bringen, aber nicht die richtige Position im Feld haben, bekommt er nicht nur selbst KEINE Chemiewerte, sondern verteilt auch keine Chemie an seine Mitspieler.
Spielt ihr also z.B. mit dem Gedanken David Raum (LV) in die Innenverteidigung zu ziehen, weil ihr schon einen besseren Außenverteidiger in der Startelf habt, aber für Timo Werner (MS) im Sturm noch eine Verbindung braucht, dann könnt ihr die Idee sofort wieder verwerfen.
Weder Timo Werner noch David Raum würden einen Chemiepunkt erhalten, solange David Raum die falsche Position zugewiesen bekommen hat. Das Loyalitäts-System wurde ebenfalls entfernt.
Ihr müsst euch also vollends auf den Aufbau der individuellen Chemie jedes Profis konzentrieren, um eine passende Mannschaft aufzubauen. Besonders in den SBC’s ist das neue Chemiesystem eine fragwürdige und viel zu komplizierte Neuerung. Warum man das altbewährte Chemiesystem entfernt hat, bleibt ein Rätsel.

FIFA 23 ist ein Umfangmonster, was sich neben Ultimate Team auch an den übrigen Spielmodi zeigt, die sich noch in der Sportsimulation finden lassen. Dazu gehört auch der beliebte Pro-Clubs, in dem ihr euren eigenen Avatar erschafft und verschiedene Attributsboni vergebt. Viel hat sich allerdings nicht im Vergleich zum Vorjahr getan.
Hier und da mal neue Anpassungsmöglichkeiten und frische Levelsysteme, aber im Großen und Ganzen kennt man den Spielmodus auswendig. Für Online Spieler ist der Pro Club aber sicherlich auch in diesem Jahr eine spaßige Angelegenheit. Schließlich lassen sich nur dort 11 virtuelle Kicker von 11 realen Mitspielern steuern lassen.

Auch der Karrieremodus wird nur Häppchenweise aufgebessert und erhält z.B. neue Manager Skins, verbesserte Cutscenes und vereinzelte Spielanpassungen wie das Eingreifen in Schlüsselszenen des virtuellen Spiels.
Zudem finden sich auch kleine Cameos wie Ted Lasso aus der gleichnamigen Apple Serie ein. Diesen gab es zum Launch übrigens auch im Ultimate Team Modus als Trainer freizuspielen.
In Zukunft sollte man sicherlich mal die Transferverhandlungen und Pressekonferenzen anpacken. Abgesehen von überarbeiteten Menüs ist aber auch der Karrieremodus kein großer Schritt nach vorne.
Das gilt gefühlt auch für den VOLTA-Modus, der vor einigen Jahren als Fifa Street Alternative eingeführt wurde. Die spielerischen Neuerungen halten sich in Grenzen, ändern aber nichts daran, dass der Modus ein echter Spaßgarant ist.
Das kleine Spielfeld zeigt sich als unterhaltsame Arcade Abwechslung zum übrigen Kick und macht mit den vielen kleinen Arcade- Minispielen enorm viel Spaß. Ob Basketball, Tennis oder Lava. Die Minispiel- Ideen sind witzig und erfordern zum Teil auch einiges an Skills. Da ich über die Jahre aber als Spieler nicht so stark in VOLA- involviert war, kann ich auch nicht zu 100% beurteilen, wie viel optionale Änderungen sich ergeben haben.
Die kleinen Partien sind zur Abwechslung aber eine tolle Ergänzung, wenn man mal von Ultimate Team oder Online Saisons genug hat. Das große Spielpaket bleibt auch in FIFA 23 ein Alleinstellungsmerkmal des langlebigen Franchises.

Spielerisch hat sich auf dem Platz dagegen einiges getan. Auch wenn es Nicht FIFA-Spieler wohl kaum noch hören können, aber die größte Änderung ist das Spieltempo!
Dank Hypermotion2 haben sich neue Animationen eingeschlichen, die nicht nur die Bewegungsabläufe, sondern auch die Spielgeschwindigkeit selbst beeinflussen. Im Vergleich zum Vorjahr wirkt das Spielgeschehen taktischer geprägt und lässt durch die Schwerfälligkeit der Profis mehr Spieltiefe zu.
Vor allem die Dribblings wurden stark eingeschränkt und wirken durch neue Animationsphasen deutlich realistischer und langsamer. Das Schwindelig- spielen des Gegners mit Tempodribblern wurde damit leicht heruntergefahren. Schnelle Richtungswechsel sind spürbar verzögert und man spürt die genauere Kontrolle über die Profis.
Dadurch schafft ein verbessertes Spielererlebnis auf dem Platz und verlangt mehr Überlegung, sofern man einen gleichwertigen Gegenspieler hat. Stumpfe Steilpässe auf den Mittelstürmer sind besonders auch durch die gestärkten Innenverteidiger eine schwierigere Angelegenheit geworden.

Wahlloses drauflos Kicken wird durch die Abwehrspieler verhindert, die nun intelligenter agieren und sich auch direkter steuern lassen. Man verlagert das Spielgeschehen wieder mehr in die hinteren Reihen, sprich Defensive und Mittelfeld, von wo aus das Spiel langsam aufgebaut wird.
Wer geduldiger agiert, kann ein Spiel tatsächlich endlich mal für sich entscheiden. Mir ist es selbst schon öfters gelungen nach einem 0:2 Halbzeit Rückstand zum Ausgleich oder Sieg zu gelangen, indem ich einfach ruhig mein Spiel durchgezogen habe. Passstafetten, kurzzeitige Spielerdrehungen und Befreiungsschläge aus dem Innenraum glücken nun wesentlich häufiger, was das Spiel unvorhersehbarer macht. Spielerisch liefert Electronic Arts zum Abschluss ihres Franchises die Beste Fußball-Simulation ab, die möglich war.
FAZIT:
FIFA 23 zeigt sich als spielerisch stark verbesserter Abschluss der langlebigen Videospielreihe. Nach zahlreichen Updates, die das Gameplay in den früheren Versionen stetig verwässert haben, ist man inzwischen wieder auf dem richtigen Weg eine echte Fußball Simulation zu schaffen, die (vielleicht) sogar auch für ehemalige PES- Fans zugänglich sein könnte. Bis dahin muss EA Sports zwar noch an ein paar kleinen Stellschrauben drehen, doch Spaß macht das Gebotene schon allemal. Durch kleine Änderungen am Spielkonzept treten weitaus weniger zufällige Spielsituationen auf, was unweigerlich zu weniger verpatzten Pässen oder Stellungsfehlern führt. Stattdessen fühlt sich jeder missglückte Pass oder Torschuss nun wie eine eigenes verschuldete Aktion an. Damit wird das Spiel automatisch unvorhersehbarer, was den Realismus verstärkt. Schade ist, dass man sich bei einzelnen Modi etwas in die Nesseln gesetzt hat und beim Frauen Fußball weiterhin nur auf Sparflamme setzt. Trotzdem ist das letzte FIFA von EA wahrscheinlich das Beste, das der Entwickler bislang veröffentlicht hat !
Bildmaterial: ©2022 | EA Sports / FIFA 23 | © 2022 Electronic Arts Inc.
Vielen herzlichen Dank an EA Sports Deutschland für die freundliche Bereitstellung des Playstation Codes von FIFA 23!