Das melancholische Jugenddrama »Euphoria« war mit seiner expliziten Darstellung sicherlich ein Überraschungserfolg für den Sender HBO. Das Writing, Acting und die brutal ehrliche Art waren starke Eckpfeiler der Geschichte. Trotzdem gab es auch negative Stimmen, die hinter den Drogenthemen eine zu starke Glorifizierung sahen. Das lässt sich auch in gewisser Weise nicht leugnen, da Rue’s Sichtweise doch schon oft sehr eingeschränkt erzählt wurde und selten die Schattenseite ihrer Argumentation aufzeigte.

Nach dem Season Finale kündigte man darum schließlich noch als Bonus zwei zusätzliche Episoden an, die als Überbrückung zur Drehverzögerung der zweiten Staffel (Corona bedingt) dienen sollten. Die erste Episode zeigt Rue dabei wie sie an Weihnachten im Diner sitzend ihre Trennung verarbeitet und erneut das Leben verteufelt. Also das altbekannte Lied neu eingesungen könnte sich so mancher denken. Was dann aber folgte, war ein 1-Stündiger Dialogfilm, der fast ausschließlich an einem Szenenort spielte und durch schauspielerische Brillanz überzeugt. Ohne große Visualisierung, Make-Up oder Post Production-Geschnörkel stand hier die Interaktion zwischen Rue und Ali im Vordergrund.

Damit rückten die Autoren sofort das Wesentliche ins Blickfeld, das »Euphoria« schon in Season 01 auszeichnete; sein ungespielter Realismus! Dabei versucht man auch erst gar nicht mit überzogene Phrasen die Dialoge zu verzerren, sondern besinnt sich auf ein natürliches Gespräch zweier Parteien, bei denen auch Themen wie Religion und Suizidgedanken eine Rolle spielen. Rue’s eingeschränkte Sichtweise auf die Gesellschaft und ihr innerer Konflikt sich eigentlich bessern zu wollen, aber keine Kraft oder genügend Ehrgeiz für eine Änderung ihres Lebensstils zu haben, sind thematisch geschickt eingebunden. Die Frage danach, ob sie es überhaupt wert ist dieses Gespräch zu führen und wieso das Leben ihr so dermaßen in den Hintern tritt, sind so ehrlich und authentisch geschrieben, dass einige Szenen wirklich herzergreifend brutal sind. Dafür sorgt auch vor allem die schauspielerische Darstellung von »Zendaya«, die nach ihrem »Emmy« Gewinn, noch einmal mit der Zusatz-Episode zeigt, weshalb sie diesen Award mit nach Hause nehmen durfte.

Ihre Darstellung ist nahezu perfekt und eine Glanzleistung der Emotion. Die Gleichgültigkeit ihrem Leben gegenüber, aber auch gleichzeitig die tiefe Traurigkeit über dieses blöde Gefühl, zeigt sich jederzeit in ihrer Mimik. Ihre Szenen sind mit einer solchen Schwere gespielt, dass man gefühlsmäßig ziemlich wachgerüttelt wird. »Zendaya’s« Performance ist in dieser speziellen Bonus- Episode einen Meisterleistung. Sie weiß zu jederzeit mit ihren Charakterzügen umzugehen und die richtige Portion Emotion und Schmerz in ihr Gespräch zu bringen. Wenn sich in diesem Jahr zwei Schauspielerin um den Emmy streiten sollten, dann wären es aus meiner Sicht »Elizabeth Olsen« (Wandavision) und »Zendaya«, die beide in gleichem Maße enorm viel Zündstoff und Dynamik in ihre Charaktere gebracht haben und das einzig durch Mimik, Gestik und Emotion.

Aber vergessen sollte man auch »Colman Domingo« nicht, der in »Euphoria« den perfekten Gegenpart für Rue beisteuert und ebenfalls mit seiner Natürlichkeit und schonungslosen Darstellung des Ex- Drogensüchtigen überzeugt. Seine Charakterarbeit gefällt mir schon seit einigen Jahren in »Fear: The Walking Dead«, doch erst durch »Euphoria« lässt sich erahnen, was er mit eine guten Drehbuch zeigen kann. Sollte noch ein Kandidat für den männlichen »Emmy Award« im Spätsommer gesucht werden, ist hier wahrscheinlich der geeignete Typ dafür gefunden worden. Die zwei Schauspieler brillieren einfach in ihrem Gespräch und schaffen es, dass eine 1-Stündige Dialogszene ausschließlich durch ihre Interaktion und der verbalen Auseinandersetzung unterhalten kann.

Das »Euphoria: Special« ist damit eine Glanzleistung der Produktion, wie sie im linearen Fernsehen selten zu finden ist. Die ausdrucksstarke Symbolik, die sich hinter vielen dieser Dialogszenen versteckt, ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber in seiner Inszenierung eben schonungslos ehrlich, direkt und unnachahmlich. Wenn eine Episode einzig und allein aus einem einstündigen Dialog besteht und man als Zuschauer nie auch nur eine Sekunde Langeweile empfindet, zeugt das nicht nur von einem ausnahmslos guten Drehbuch, sondern auch von überzeugender Schauspielleistung. Wer »Zendaya« bisher nur auf ihre M.J. Rolle im MCU (z.B. »Spiderman: Far From Home») reduziert hat, wird spätestens mit dem »Euphoria Special» eines besseren belehrt!
FAZIT:
Exzellente Episodendrama, authentisch erzählt und brillant gespielt!
Euphoria Special ist wie der Name schon verrät, ziemlich “speziell”. In einem Zeitalter, in dem Filme und Serien sich schon fast selbst mit zahlreichen Plot-Twists, Flashbacks und Inszenierung zu überbieten versuchen, schränkt sich Euphoria bewusst ein und gibt dem Zuschauer lieber einen Hauch Natürlichkeit. Man verzichtet auf weichgespülte Dialoge und schafft es ohne Belehrung zum Nachdenken anzuregen. Die Bonus- Episode zeigt die Schattenseite und die ungeschönte Wahrheit. Ein Ausnahme- Projekt, das Corona bedingt Einschränkungen unterlag, aber gerade deshalb auch so einzigartig erscheint.
Bildmaterial: Zendaya & Colman Domingo in “Euphoria” ©[2020] Home Box Office, Inc. All rights reserved. / Sky