Regisseurin Naoko Yamada präsentiert ihren neuen Kinofilm A Silent Voice und versucht hiermit ein Drama zu schaffen, das Mobbing und Behinderung thematisiert. Ob der Film auch zu Herzen rühren kann, verrate ich im Test…
Handlung
Der junge Shoja Ishida zeigt sich stets als aufgeweckter Grundschüler, der einfach in den Tag hineinlebt. Mit seinen Freunden hat er Spaß und genießt das sorgenlose Kindesalter. Bis eines Tages die gehörlose Shoko Nishimiya in seine Klasse versetzt wird und den Alltag durcheinander wirbelt. Aus schadenfreude fängt er an das arme Mädchen zu mobben und ihr jeden Schultag zu vermiesen. Nachdem ihm auch zahlreiche Hörgeräte zum Opfer gefallen sind, entscheidet sich Shoko’s Mutter sie von der Schule zu nehmen, um der Tyrannei ein Ende zu bereiten.
Als ihr Lehrer hiervon erfährt, wendet sich die ganze Klasse gegen Shojo, wodurch er selbst zum Außenseiter heranwächst. Zeitweise fühlt sich Shojo sogar selbst für seine missliche Lage verantwortlich und versucht fortan aus Reue jeder möglichen Freundschaft aus dem Weg zu gehen. Auch Jahre später plagen ihm die Schuldgefühle und er versucht als Teenager sein früheres Opfer ausfindig zu machen, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Die Frage, die sich ihm stellt – Kann eine einfache Entschuldigung frühere Taten überhaupt wieder richten?
Bild & Animation
Für A Silent Voice zeichnet sich Kyoto Animation verantwortlich, die ich schon seit jeher als eines meiner Lieblings- Studios auserkoren habe. Die Zeichner beweisen stets ein Händchen für farbenfrohe Kulissen, Detailreichtum und lustige Charakter-Designs. Die liebevoll verarbeiteten Animes besitzen gleichzeitig aber auch oftmals ein sehr einheitliches Bild, das wohl nicht jeden gefällt und ihnen schon oft den Vorwurf eingebracht haben nur “Kawaii” zu können.
Mit A Silent Voice dürften sich diese Ansichten nun jedoch schlussendlich ändern, denn hier hat das Animationsstudio wohlmöglich ihre kreativste Arbeit abgeliefert und die Fähigkeiten der Animatoren bewiesen. Dass die Produktion mit hochwertigen Zeichnungen und viel Liebe zum Detail auskommt, wird schon früh ersichtlich. Doch sind dies gar nicht die besonderen Merkmale, die A Silent Voice so auszeichnen. Die Klasse liegt vielmehr am visuellen Storytelling, das Kyoto Animation hier betreibt. Der Kinofilm brilliert auf bemerkenswerte Weise, indem die Designer eine starke Bildsprache verwenden, die den Einbau von Dialogen schon fast überflüssig macht. Wenn Shoja die Mitmenschen quasi nur als Silhouette wahrnimmt, deren Gesichter mit einem “X” verklebt sind, dann spricht das Bände.
Die visuelle Gestaltung von Emotionen und traurigen Szenen zeugt von einem fähigen Grafiker-Team, das beweist, mit welchen stilvollen Mitteln ein Anime Geschichten transportieren kann. Interessant fällt auch der Kontrast der farblichen Gestaltung zum eigentlich düsteren Ton aus. Die Welt wird von den Designer nämlich ziemlich farbenfroh gezeigt, obwohl die Handlung mit viel Melancholie getragen wird, was eine stark prägende Aussage erzeugt. Allein diese farbliche Inszenierung verleiht dem Animationsfilm auch mehr Persönlichkeit, als jeder Hollywood es jemals könnte. Dafür sorgen auch die gekonnt geführten Kamerawinkel, die einiges an Pep in die Szenen bringen. Nie fühlt sich eine Filmszene visuell langweilig an, was auch den herrlichen Charakter-Designs und den wunderschönen Hintergründen liegt. Dieser Kinofilm ist wirklich traumhaft schön von Kyoto Animation produziert.
Sound & Musik
Die Produktion ist ein schönes Beispiel dafür, wie Audio und Bild harmonieren können. Musikalisch bewegt sich das Werk durchaus emotional, zeigt aber auch andere Seiten. Den alten Klassiker My Generation mit seinen treibenden, ja fast schon fröhlich, rebellischen Beat als Theme für eine emotionale Geschichte zu verwenden, ist mutig. Auf den ersten Blick, scheint es nämlich ziemlich banal, doch letztlich untermauert dies nur die bedeutungsschwangere Message des Films. Auch die Synchro trifft in der hiesigen Version die richtigen Töne.
Schon allein die Besetzung von Nicolás Artajo als Shoja war ein echter Glücksgriff, da dieser seine Synchronrolle mit genau der richtigen Dosis Emotion und Monotonie spielt. Es passt einfach zum Charakter, wie er seinen Rolle interpretiert. Genauso positiv aufgefallen sind auch Maximiliane Häcke (Yuzuru) und Benjamin Stolz (Tomohiko), die viel zur Persönlichkeit des Casts beitragen. Dem Tonstudio ist es hierbei auch, unter dem Drehbuch und der Regie von Birte Baumgardt, gelungen das dramatische Werk mit sehr viel Authentizität zu versehen, was die Dialogszenen angeht. Sie selbst war nebenbei auch in der Rolle von Naoko zu hören und konnte auch hier überzeugen. Nie wirkte eine Szene aufgesetzt. Schöne Arbeit von den G&G Studios.
Content & Verpackung
Kaze hat sich im Falle von A Silent Voice sichtlich Mühe gegeben diesem Meisterwerk auch einen angemessenen Release zu spendieren.
Nicht nur die Verpackung mit Schuber und aufklappbaren Digipack ist schick gestaltet, sondern auch die Extras sind gut ausgearbeitet. Zuerst fällt hierbei natürlich das Poster im Hochformat auf, welches als Motiv das erste Key Visual vom Kinofilm zeigt.
Zusätzlich spendiert der Publisher auch noch drei wunderschöne Artboard Karten, die vom Druck her auch sehr hochwertig ausfallen. Doch auch im digitalen Bereich wurde viel Arbeit investiert.
Hier finden sich Interviews mit den Produzenten/Designern und Clips ein. Das interessanteste Bonus- Material ist aber wohl der Vergleich zwischen den Film- Locations und den animierten Ebenbildern. Die physischen, wie auch digitalen Extras rechtfertigen den Preis definitiv.
Inside Anime
A Silent Voice ist ein bemerkenswert authentischer Animationfilm, der seine zahlreichen Preise und Vorschusslorbeeren mit Leichtigkeit rechtfertigt. Schließlich zeigt sich die Produktion nicht nur visuell als wunderschöne Geschichte, sondern auch in seiner eigentlichen Erzählung. Doch zuvor eine Klärung – Wofür steht Coming of Age? Richtig. Es symbolisiert das Erwachsenen werden. Das Reifen an seinen Aufgaben und dem Gewinn der Erkenntnis, was es heißt Verantwortung zu tragen.
Auch die Entdeckung was echte Freundschaft bedeutet und das Finden der ersten Liebe, die man nicht vergisst, spielen hier eine Rolle. Themen, die sicherlich jeder Jugendlich einmal selbst erlebt und durch das Coming-of-Age Genre verarbeitet werden. Auch A Silent Voice vermischt diese altgedienten Grundkonzepte eines Coming of Age Dramas, verbindet diese jedoch noch mit den thematischen Grundgerüsten Mobbing und Behinderung. Anfangs mag der Film hierdurch zwar sehr plakativ wirken, da man den Verdacht erhält nur eine moderne Anti-Mobbing Kampagne in Filmform vorgesetzt zu bekommen. Doch “A Silent Voice” überzeugt uns als Zuschauer schon kurze Zeit später vom Gegenteil und zeigt wie man ein gefühlvolles Drama erzählen kann, dass die Themen Mobbing und Behinderung sehr sensibel behandelt, um zeitgleich tiefe Emotionen zu erzeugen.
Obwohl der Film auch ein wenig romantische Gefühle beinhaltet, gilt es in der Geschichte viel eher darum, wie unser Protagonist eine Reise zum Erwachsenen antritt und Verantwortung für vergangenes Handeln übernimmt. Ein schwieriger Weg zur Selbstvergebung. Denn irgendwie gilt es die früheren Taten als Kind zu verarbeiten, um sich auch selbst vergeben zu können. Dies fällt Shoja unfassbar schwer, was der Film sehr intensiv erzählt und mit bedrückend authentischen Dialogen untermalt. An dieser Stelle also auch ein Lob an das Tonstudio, das die Lokalisation übernommen hat und ohne dessen Mitwirken sicherlich viel Gefühl verloren gegangen wäre. A Silent Voice fühlt sich dadurch an, als würde man als Zuschauer den Boden unter den Füßen verlieren. So eine unfassbare Schwere drücken die teilweise sehr berührenden Momente und Dialogszenen aus.
Shoja als Protagonist bietet auch sehr viel Tiefgang und erzeugt trotz seines früheren Handelns viel Sympathie. Gerade auch deshalb, weil ihm im Laufe der Zeit bewusst geworden ist welchen Schaden er angerichtet hat. Verzweifelt versucht er zur Normalität zurückzukehren und seine Vergangenheit zu vergessen. Leider fehlt ihm dafür jede Einsicht was die richtigen Worte und Handlungen wären, um Verantwortung zu übernehmen. Als Zuschauer fühlt man sich schnell in seine Lage versetzt und möchte erfahren wie er aus seiner quälenden Situation wieder entkommt. Und seien wir ehrlich – Genau das fasziniert uns an Dramen. Wir möchten nicht sehen wie jemand scheitert, sondern erfahren wie er aus einer misslichen Lage herausfindet. Die Autoren bewerkstelligen diesen heiklen Drahtseilakt wahrlich treffend und erhalten zeitgleich eine Ernsthaftigkeit, ohne peinlich zu sein.
Es ist auch beeindruckend, dass hierbei Charaktere mit enormer Tiefe aufgebaut werden können, die nicht dem klischeehaften Anime- Baukasten entnommen wurden und trotzdem für jeden Zuschauer einen Sympathieträger bieten. Mein Fave- Charakter im Film ist zum Beispiel die junge Yuzuru, die als Nebencharakter fungiert, aber ziemlich gut platziert wird. Das Mädchen ist sehr facettenreich und zeigt sich in jungen Jahren schon sehr erwachsen. Es scheint im ersten Moment so, als würde sie stets das Wohl ihrer Schwester über das ihres eigenen stellen. Doch eine aussagekräftige Szenen mit ihrer Großmutter zeigt die wahre Bedeutung ihres Handelns und verpasst ihrer Persönlichkeit noch einen Tick mehr Klasse. Ihre Dialogszenen rühren auch meist genauso mit viel Herz, wie bei den Hauptpersonen und fühlen sich unglaublich authentisch an.
Dadurch reift nicht nur Yuzuru als Persönlichkeit und Nebencharakter, sondern auch der restliche Cast. Der Kinofilm baut also gekonnt das Thema Mobbing auf und zeigt mit welchen Hürden manche Personen ihren Alltag zu bewältigen haben. Es ist in A Silent Voice auch ziemlich interessant zu sehen, wie das Opfer mit sich selbst zeitweise mehr im Reinen ist, als der Mobber, dem die Schuldgefühle in die Einsamkeit führten und dies im Umkehrschluss wieder eine Auswirkung auf das Opfer hat. Wie ein Produktionsteam derart sensibel mit Mobbing und Behinderungen umzugehen weiß, ohne ins Lächerliche zu driften, zeigt die phänomenale Autorenarbeit.
©Yoshitoki Oima, KODANSHA / A Silent Voice The Movie Production Commitee
©2018 VIZ Media Switzerland SA (German Version)
Vielen herzlichen Dank an Kaze Anime & Themroc PR für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplares von A Silent Voice:)